Neue CD "More than a dull ripieno!" Bratschensonaten aus dem 18. Jahrhundert
Die Wiederentdeckung einer kammermusikalischen Literatur für Bratsche, die die europäische Kunstmusik um die Mitte des 18. jahrhunderts sowie die Kompositionsstile und den Geschmack jener Zeit zum Leben erweckt.
Werke von Johann Gottlieb Graun (1702/03–1771), Carl Philipp Emanuel Bach (1714–1788), Johann Gottlieb Janitsch (1708–1762), Felice Giardini (1716–1796) und William Flackton (1709–1798).
Mit einer Einführung von Phillip Schmidt, Francesca Venturi Ferriolo und Kerstin Schwarz
Die weitreichenden politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Veränderungen, die sich um die Mitte des 18. Jahrhunderts in den aufklärerischen Zentren Mitteleuropas vollzogen, blieben auch im kulturellen Leben nicht ohne Folgen. Diente die kunsthandwerkliche Produktion bis dahin fast ausschließlich der höfischen Entfaltung oder der geistlichen Verherrlichung, verlagerte sich der Fokus innerhalb weniger Jahrzehnte zugunsten eines aufstrebenden Bürgertums, dem sich nun mannigfaltige Möglichkeiten des öffentlichen und privaten Amüsements eröffneten. Im musikalischen Bereich wird der Komponist (auch als Interpret) unabhängiger, was ihn in die Lage versetzt, seine eigenen Werke auch ohne konkreten Anlass oder Auftrag in Abschriften oder Drucken kommerziell zu verbreiten. Zeitgleich findet ein musikalischer Stilwandel statt, der sich vom ausgehenden Spätbarock bis zur neuformierten klassischen Epoche erstreckt und in dem oftmals ältere und neue Einflüsse in Verbindung auftreten. Die affektgebundene Ästhetik des barocken Ideals wird allmählich durch eine neue, rezeptionsästhetische Anschauung verdrängt, die die individuelle Empfindung in den Vordergrund rückt. Die strenge Kontrapunktik als höchster Stufe des schöpferischen Anspruchs verliert an Bedeutung. Eleganz und Gefälligkeit charakterisieren den galanten Geschmack der Zeit, in dem die vollkommene Melodie zu einem neuen Muster avanciert.
Daneben findet auch eine späte Emanzipation eines bestimmten Instruments statt, das zuvor fast ausnahmslos auf eine untergeordnete Funktion beschränkt war: Bis in das dritte Viertel des 18. Jahrhunderts galt die Bratsche als reines Mittelstimmeninstrument und wurde als solches von den Komponisten nur zur Begleitung eingesetzt. Es schien lange Zeit ausgeschlossen, der Bratsche auch solistische Aufgaben zu übertragen, zumal geeignete Solisten praktisch nicht zur Verfügung standen, wie es einige Zeitgenossen beklagten: „Die Bratsche wird in der Musik mehrentheils für etwas geringes angesehen. Die Ursache mag wohl diese seyn, weil dieselbe öfters von solchen Personen gespielet wird, die entweder noch Anfänger in der Musik sind; oder die keine sonderlichen Gaben haben, sich auf der Violine hervor zu thun; oder auch weil dieses Instrument seinem Spieler allzuwenig Vortheil bringt: weswegen geschikte Leute sich nicht gerne dazu brauchen lassen. Dem ungeachtet halte ich dafür, daß ein Bratschist eben so geschikt seyn müsse, als ein zweyter Violinist: wofern das ganze Accompagnement nicht mangelhaft seyn soll.“ (Johann Joachim Quantz, Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen, Berlin 1752, S. 207.)
Der Umstand, dass unfähige, degradierte Violinisten ihren Dienst bei Hofe oder bei der Stadt als Bratschisten versahen, die in jeder Hinsicht als Solisten ungeeignet waren, hätte kaum dazu führen können, dass Solo-Repertoire für Bratsche entstehen konnte. Dennoch entsteht solches Solo-Repertoire – anfänglich offenbar nur, weil versierte Geiger zur Bratsche griffen.
Bis heute hält sich das Vorurteil, dass die Bratsche im 18. Jahrhundert bei den Zeitgenossen erst mit dem Erscheinen des reisenden Virtuosen Carl Stamitz (1745–1801), der sich ab den 1770er Jahren in vielen westeuropäischen Städten mit der Bratsche und der Viola d’amore in öffentlichen Konzerten hören ließ, zu allgemeiner Beliebtheit gelangte. Tatsächlich wurde die Bratsche mancherorts schon früher als Solo-Instrument geschätzt.
Text: Phillip Schmidt
Das weitgehende Fehlen eines im 18. Jahrhundert entstandenen Solo-Repertoires für Viola wird bis heute als Mangel empfunden. Dank der Forschung und der Entwicklung in der historischen Aufführungspraxis fand in den letzten Jahrzehnten allmählich eine Wiederentdeckung und Wiederbelebung eines zu Unrecht vergessenen Instruments und seines Repertoires statt. Diese CD präsentiert den Zuhörern eine erlesene Auswahl von Musikstücken, in denen die Bratsche souverän und als Solo-Instrument in Erscheinung tritt. Sie emanzipierte sich von ihrer angestammten Rolle als unterwürfige und stets begleitende Ripieno-Füllstimme (Dull ripieno*), wie sie von William Flackton (1709–1798) 1770 in der Einführung zu seinen „Six Solos“ beschrieben wurde:
The Solos for a Tenor Violin are intended to shew that Instrument in a more conspicuous Manner, than it has hitherto been accustomed; the Part generally allotted to it being little more than a dull Ripiano, an Accessory or Auxiliary, to fill up or compleat the Harmony in Full Pieces of Music; though it must be allowed, that at some particular Times, it has been permitted to accompany a Song , and likewife to lead in a Fugue; yet even then, it is assisted by one or more Instruments in the Unisons or Octaves, to prevent , if possible ,its being distinguished from any other Instruments; or, if it happens to be heard but in so small a Space as a Bar or two, ‘tis quickly overpowered again with a Crowd of Instruments and lost in Chorus.
Unsere Auswahl bietet einen Querschnitt der europäischen Kunstmusik um die Mitte des 18. Jahrhunderts, der die unterschiedlichen Kompositionsstile und den Geschmack jener Zeit widerspiegelt. Besonderes Augenmerk wurde auf die Wahl der Musikinstrumente gelegt mit dem Ziel, sich auch klanglich den ästhetischen Vorstellungen der Vergangenheit anzunähern. Eine Bratsche, die heute allgemein als Barockbratsche bezeichnet wird, unterscheidet sich vom modernen Instrument vor allem durch die Verwendung von Darmsaiten, die weniger stark gespannt sind als metallumsponnene Saiten. Dadurch hat der Klang einen individuellen Charakter, der auch eine bestimmte Interpretationsrichtung vorgibt. Im 18. Jahrhundert wurde die Bratsche ohne Kinnhalter, ohne Schulterstütze und mit einem Barockbogen gespielt , der durch sein geringeres Gewicht und seine flachere Wölbung ein klar artikuliertes und präzises Spiel ermöglicht. Gleiches gilt für das Cello, das in diesem Repertoire teilweise die Bassstimme des Cembalos oder Hammerklaviers verstärkt.
Text: Francesca Venturi Ferriolo
In dieser Aufnahme kommen als begleitende Tasteninstrumente, neben dem vertrauten Cembalo, zwei Hammerflügel zu Gehör, deren Klang weniger bekannt ist. Es handelt sich um originalgetreue Kopien eines Hammerflügels von Bartolomeo Cristofori von 1726 und eines weiteren von Gottfried Silbermann von 1749. Cristofori und Silbermann läuteten die Geburtsstunde des Klaviers ein.
Der gebürtige Paduaner Bartolomeo Cristofori hatte Ende des 17. Jahrhunderts am Medici-Hof in Florenz die erste voll funktionsfähige Klaviermechanik erfunden. Im ältesten erhaltenen Dokument aus dem Jahre 1700 (eine kurze Beschreibung im Inventarverzeichnis der Musikinstrumente des Prinzen Ferdinando de’ Medici) wird ein “... Arpicimbalo di Bartolomeo Cristofori, di nuova invenzione, che fa il piano e il forte….” (ein neu erfundenes Cembalo, was laut und leise spielt) beschrieben. Eine zweite wichtige Quelle ist ein langer Artikel des Veroneser Aristokraten Scipione Maffei, der 1711 die neue Erfindung detailliert beschreibt und uns informiert, wie das Instrument bei Musikern und beim interessierten Publikum aufgenommen wurde. Es waren die dynamischen Möglichkeiten, wie bei Streichinstrumenten oder der menschlichen Stimme, die am faszinierendsten am neuen Tasteninstrument waren. Darüber hinaus wurde Cristoforis Mechanik auch als neue wissenschaftliche Errungenschaft gesehen, denn in gewisser Weise ist es ein gutes Anwendungsbeispiel für Newtons Mechanikgesetze, die einige Jahre zuvor erschienen waren und in jener Zeit in intellektuellen Kreisen diskutiert wurden.
Die von Cristofori erhaltenen drei Hammerflügel stammen aus den Jahren 1720 (Metropolitan Museum of Fine Arts, New York), 1722 (Museo Nazionale degli Strumenti Musicali, Rom) und 1726 (Grassi-Museum für Musikinstrumente Leipzig). Die Hammermechanik Bartolomeo Cristoforis besitzt bereits alle Parameter der modernen Flügelmechnik: Hammerstiel und Hammerkopf, Zwischenhebel, Auslösung, Dämpfer und Fänger. Die Mechanik ist sehr leicht. Die Hammerköpfe zum Beispiel bestehen aus kleinen hohlen Papierröllchen, auf deren Oberseite kleine Lederstückchen geleimt sind. Die Gehäusekonstruktion des Cristofori-Hammerflügels unterscheidet sich noch nicht von denen in Cristoforis Cembali aus der gleichen Zeit. Das farbig gefasste Pappelgehäuse, im Inneren mit Zypresse verkleidet, ist ganz besonders leicht. Die Saiten des doppelsaitigen Messingbezuges haben Durchmesser ähnlich einem italienischen Cembalo. Der Tastenumfang beträgt vier Oktaven (C – c3).
Durch die deutsche Übersetzung des erwähnten Artikels von Scipione Maffei durch den Dresdner Hofpoeten Ulrich König im Jahre 1725 und seiner Veröffentlichung in Johann Matthesons Critica Musica war die neue Erfindung auch in Deutschland einem breiten musikinteressierten Publikum bekannt gemacht worden. Außerdem können wir annehmen, dass einige der Hammerflügel Bartolomeo Cristoforis durch reisende Aristrokraten und durch die an deutschen Höfen tätigen italienischen Musiker nach Deutschland gelangten. Es gab mit Sicherheit einen Cristofori-Hammerflügel in Sachsen. In den drei überlieferten Hammerflügeln von Gottfried Silbermann aus den 40er Jahren des 18. Jahrhunderts, einer im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg und zwei in den Museen der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten in Potsdam, verbirgt sich eine detailgetreue Kopie der Hammermechanik Bartolomeo Cristoforis wie sie im Hammerflügel in Leipzig erhalten ist. Gottfried Silbermann, der seit den 20er Jahren des 18. Jahrhunderts wahrscheinlich mit einer eigenen Hammermechanik experimentierte und der in Zedlers Universal-Lexikon von 1733 als Erfinder des Pian Fort beschrieben wird, greift in den 1740er Jahren auf Cristoforis Mechanik zurück. Die Gehäusekonstruktion der Silbermann-Hammerflügel basiert auf der Bauweise eines sächsischen Cembalos, aber Innenkonstruktion und Besaitung sind stärker als letztere. Der Tonumfang beträgt fast fünf Oktaven (FF-e3).
Der preußische König Friedrich II. hatte in jedem seiner Schlösser (Stadtschloss Potsdam, Stadtschloss Berlin, Schloss Sanssouci, Neues Palais) für seine privaten Konzerte einen Hammerflügel Gottfried Silbermanns, der regelmäßig von seinem Cembalisten Carl Philipp Emanuel Bach gespielt worden ist.
Text: Kerstin Schwarz